Sonntag, 23. November 2008

Sommer

(veröffentlicht im Studienfahrtbegleitheft des Collegium Oecumenicum im April 2008)
Unten am Gartentor sitzt das ewige Kind, die Hand im tauenden Schnee und denkt: "Es wird Sommer werden. Und was für ein Sommer wird es sein, so ein Sommer, wie es ihn gar nicht wirklich gibt. Er wird so ganz im Detail sein, so ganz in der Luft, die dann nach warmer Erde und den gemähten Wiesen duftet, dass man tanzen mag, so bald man sie geatmet hat. Die Sonne wird ganz warm hernieder scheinen und uns am ersten Sommertag die Haut ein wenig röten, nur ganz leicht und schon am nächsten Tag wird sie uns bräunen. Wir werden Marienkäfer von den Grashalmen aufsammeln, damit sie auf unseren Händen einen Spaziergang machen während wir in den Gärten sitzen und ganz fern sind von allem, was nicht Sommer ist. Die Zeit wird sich ganz angenehm dehnen wie Katzen vor dem warmen Ofen. Wenn das Taglicht glühend den Zenit erreicht, werden wir uns im Schatten der Bäume verstecken und den Flüssen zusehen, auf denen die Jungen Bork - und Korkschiffen niedersetzen um ihnen dann johlend am Ufer nachzulaufen. Die langen Tage werden uns schließlich ganz verrückt machen, so dass wir ebenso verrückte Pläne schmieden und beschließen, weit weg zu fahren, nach Spanien vielleicht, weil wir immer noch denken, dass da der Sommer geboren wurde und für immer und ewig weitergeht. Und dann sitzen wir alle in einem dieser VW Busse, wie es sie sicher schon lang nicht mehr gibt und vielleicht auch nie gegeben hat und es wird wie im Film sein, ganz genau so. Wir werden uns oft verfahren und die seltsamsten Menschen treffen, Menschen mit den unglaublichsten Spinnereien und Geschichten. Sie werden uns erzählen, sie hätten den Mond gekauft und Algebra erfunden und wir werden nicken und jaja sagen, während wir Wein aus dem Karton trinken und Pfeife rauchen. Wir werden ein Lagerfeuer haben, wie man es in so einem Sommer nun mal hat und im Film sowieso, denn ganz genau wie im Film muss es sein. Deshalb werden wir uns auch ganz furchtbar streiten und dann wieder versöhnen. Am Ende schaffen wir es dann doch nicht nach Spanien, aber das macht nichts, denn bis dahin hat uns der Sommer schon in die Menschen verwandelt, die wir schon immer gern sein wollten. So ein Sommer wird es werden. So ein Sommer, der einen wachsen lässt, vielleicht nicht aus uns heraus, weil das ja seltsam wäre, viel mehr in uns hinein, was viel sinnvoller ist, denn ist das Leben nicht irgendwie wie ein Schuh, der einem am Anfang etliche Nummern zu groß ist? Es wird dieser eine Sommer sein, den man sich jedes mal wünscht, wenn es Winter ist, der Sommer, auf den man immer wieder gerne hinhofft. Man ist auch gar nicht traurig, wenn er nicht kommt, denn darum geht es nicht.
Es wird so ein Sommer sein, bei dem man bei offenem Fenster ganz wunderbar schläft, oder auf der Fensterbank sitzend den Menschen beim Lachen zuhört, wenn sie den Abend feiern, oder, wenn man Pech hat, den Mücken mit dem Pantoffel nachjagt. 
„Was für ein unübertrefflicher Sommer das sein wird!", freut sich das ewige Kind mit dem tauenden Schnee in der Hand, "Ein Sommer unter Freunden."